28. September 2023
Greift er zur Sprühdose, entsteht Einzigartiges: Meterhohe Wandgemälde, optische Täuschungen und verblüffend echte 3D-Strassenbilder. Patrick Redl Wehrli ist seit über dreissig Jahren Mural-Artist und stetig auf der Suche nach neuen Herausforderungen. Einer solchen stellte er sich auf dem Thalwiler Friedhof.
Ein Mann in seinem Element: Musik in den Ohren, den Blick konzentriert auf die Wand vor ihm gerichtet, eine goldene Sprühdose in der rechten Hand. Zwei weitere Dosen hat er sich griffbereit unter den linken Arm geklemmt. Eine Schablone, die aussieht, als hätte sie schon einige Diensttage hinter sich, hält er locker in der linken Hand. Es zischt kurz, die Dose in seiner Rechten hinterlässt eine feine violette Linie auf orangem Hintergrund. Nur kurz löst er den Blick, um auf das Tablet rechts von ihm zu spähen, bevor er zur nächsten Linie ansetzt. Auf diesem hat Redl, mit vollem Namen Patrick Redl Wehrli, den Entwurf des Werkes, welches langsam auf der Wand vor ihm entsteht.
Der Vielseitige
Die Aktion von Redl ist kein illegaler Akt an sich, dennoch wirkt sein Schaffen auf dem Thalwiler Friedhof auf den ersten Blick etwas fremd. Gleich neben dem Eingang zum Abdankungsraum des Friedhofgebäudes, wo sich die Trauergemeinde jeweils versammelt, entsteht hier Kunst. «Viele denken, das ist ein Graffiti. Doch das ist es nicht» konstatiert Redl, und tritt einen Schritt zurück, «dies nennt man Spray-Can-Art». Ein Graffiti enthalte Buchstaben oder sei illegal. Er muss es ja wissen. Schliesslich ist Redl einer der bekanntesten und facettenreichsten Mural-Artists von Zürich. Einer also, der auf Antrag Wände, Strassen oder Einrichtungen malerisch verschönert. «Am meisten fasziniert mich das Spiel mit Formen und Illusionen», erzählt Redl. Einen bestimmten Stil habe er aber nicht. Von Graffiti, über Streetart bis zu 3D-Gemälden und Spray-Can-Art mache er alles. «Andere sagen, ich verzettle mich beim Stil», meint Redl, «Das mag schon sein. Ich finde aber, ich kann dafür eine breite Palette anbieten». Redl wirkt gelassen.
Dass Redl ausgerechnet auf dem Thalwiler Friedhof ein neues Kunstwerk schafft, ist kein Zufall. Dieses erstellt er im Auftrag der Gemeinde Thalwil, welche die Friedhofsanlage in den nächsten Jahren saniert. Neben der Sanierung sieht das zugrundeliegende Friedhofentwicklungskonzept zudem vor, neue Grabarten und Bestattungsmöglichkeiten zu schaffen und den Friedhof gestalterisch aufzuwerten. Von der Gemeinde erhielt Redl den Auftrag, die bislang unbemalte Wand hochwertig und angemessen pietätsvoll zu gestalten.
Ein besonderes Projekt
Redl hat bereits 24 Meter hohe und bis zu 140 Meter lange Gemälde geschaffen. Grösser ist für ihn aber nicht zwingend besser. «Wenn ich es fühle und das Projekt cool finde, nehme ich auch gerne kleinere oder schlichtere Aufträge an». Zu einem einfachen Projekt gehöre jenes auf dem Thalwiler Friedhof jedoch nicht. Der Standort selbst sei bereits eine Herausforderung. Das Bild erstreckt sich über zwei Wände, welche in einem 90-Grad-Winkel zueinanderstehen. Eine Ecke also, die das Bild verzerren würde, wenn man direkt gegenübersteht. Dies müsse man bereits bei der Planung beachten. Hinzu komme die Sujetwahl. Das Gemälde muss konfessionsneutral sein und auch noch in zehn Jahren zum Friedhof passen. Unabhängig von Wetter und Jahreszeit. Gemäss Redl ein «nicht ganz einfaches Unterfangen». «Es ist mein erstes Projekt dieser Art. Auf einem Friedhof habe ich noch nie gearbeitet» Während des Planungsprozesses sei er sehr lange einfach nur dagesessen und habe nachgedacht, so Patrick Redl «Die Idee für das Sujet kam nicht sofort».
Die Herausforderung scheinbar simpler Dinge
Irgendwann kam sie dann, die Idee – und nach gut einer Woche reiner Planungsarbeiten auch die Umsetzung vor Ort. Obwohl Redl an diesem sonnigen Montagnachmittag erst seit gut sechs Stunden an der Wand arbeitet, sind die Umrisse des finalen Werkes bereits gut erkennbar: Zwei in oranges Licht getauchte Hände, deren Handflächen nach oben zeigen. In der Mitte über den Händen schweben leuchtende Salzkristalle. Das Wandgemälde in seinen satten orange-gelben Farbtönen versprüht schon jetzt eine angenehme Wärme, wenn auch noch nicht fertig. Redl geht zwei Schritte zurück, sodass er auf die Ecke ausgerichtet ist. Er nimmt die halb bemalten Wände vor sich auf, beäugt diese kritisch. «Hände darzustellen ist echt tricky», erklärt Redl, «niemand kann sie zeichnen, aber alle sehen, wenn etwas daran nicht stimmt».
Früher meist illegal, heute globales Phänomen
Bereits mit 14 Jahren sprayte Patrick Redl Wehrli sein erstes Graffiti. Ein zweites folgte bald. «Es hat scheusslich ausgesehen», lacht er. Über 30 Jahre und unzählige Graffiti später, sucht er noch immer nach Neuem: Neue Sujets, neue Techniken, neue Projekte. Dies sei heute aber viel schwieriger. Früher musste man sich alle technischen Informationen mühsam zusammensuchen. Heute habe man das Internet. Und es gebe schon fast alles. Redl scheint etwas wehmütig auf die Pionierzeit der Streetart zurückzuschauen. Streetart wurde in der letzten Dekade immer breiter und regelrecht zu einem globalen Phänomen: von Street-Artists, deren Werke in Museen ausgestellt werden bis zu den Gangs, welche noch immer illegal sprayen. Die Globalisierung habe auch etwas Positives, meint Redl: Die Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber der Streetart sei heute grösser. Die Bevölkerung könne illegale Graffitis von professionellen Werken besser unterscheiden.
Die Endlichkeit von Kunst
Etwas weniger positiv klingt es, wenn er von «crossen» spricht. Crossen bezeichnet das Schänden oder illegale Übermalen eines Werkes durch einen anderen Künstler. «Es nervt. Und es tut weh», meint Redl. Aber solche Erfahrungen lehren einem auch, dass nichts für immer sei, so Redl. Alles sei vergänglich, das Leben ein Kreislauf – Kunst sowieso.
Redl wendet sich erneut dem Wandgemälde zu, ergänzt einen feinen orangen Strahl gleich unterhalb des Daumens. Was das Sujet für ihn genau bedeute? «Ich möchte, dass die Leute stehen bleiben und ihre eigene Bedeutung aus dem Gemälde ziehen».
Anstehende Arbeiten im Rahmen der ersten BauetappeIn der ersten Bauetappe des Friedhofentwicklungskonzepts, welche noch bis im Frühling 2024 andauern wird, werden sowohl Erdbestattungsgräber wie auch Urnengräber saniert (siehe auch Reportage zu Exhumationsarbeiten). Die Grabesruhe bleibt dabei jederzeit gewahrt. Ebenfalls wird im Herbst 2023 ein neues Kindergrabfeld im nordwestlichen Teil des Friedhofs erstellt. Kinder, Fehl- und Totgeburten (auch Engelskinder oder Sternenkinder genannt) finden darin ihre letzte Ruhe. Für die Gestaltung des Kinder- und Sternenkindergrabfelds erfolgte im Dezember 2022 die Ausschreibung eines Gestaltungswettbewerbs. Den Zuschlag haben die Leuthold Gärten AG, Oberrieden, und Beat Eschmann, Thalwil, erhalten. Das ausgearbeitete Projekt wird in einer separaten Berichterstattung im Laufe des Herbstes 2023 vorgestellt. Neben den Sanierungsarbeiten sieht das Friedhofentwicklungskonzept die Schaffung neuer Grabarten und Bestattungsmöglichkeiten, wie Themengräber, vor. Sämtliche Informationen zum Bauprojekt finden sich auf der Gemeindewebsite unter thalwil.ch/friedhofentwicklung. |